Impfung gegen Corona – Rettung oder Risiko?

In einer Diskussion ums Impfen gegen CoViD-19 bekam ich einen Flyer der Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen e.V., kurz AG Welt. Schon die Wortwahl des zweiten Satzes macht klar, dass es kein trocken-wissenschaftlicher Artikel ist: "Impfzentren und Hausarztpraxen werden von Impfwilligen regelrecht belagert". Selbst wenn der Titel "Rettung oder Risiko?" Fairness suggeriert, geht es klar darum eine Meinung zu verbreiten. Ist nicht verwerflich, aber entsprechend vorsichtig gehe ich an sowas ran.

mRNA ist keine Gen-Veränderung

Der Flyer weist darauf hin, dass mRNA-Impfstoffe innerhalb von Monaten zugelassen wurden obwohl Impfstoffe normalerweise Jahre dafür brauchen. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist Deutschlands offizielles Bundesamt für die Freigabe von Impfstoffen. In einer FAQ geben sie vier Gründe an warum die CoViD-19 Impfstoffe trotz des schnellen Verfahrens sicher sind:

  1. Frühere und bessere Beratung durch Wissenschaftler
  2. Rückfragen und Klärung für Unterpunkte wurden direkt geklärt statt gesammelt (Rolling Review)
  3. Prüfungsphasen wurden überlappend durchgeführt
  4. Forschungsergebnisse von früheren Epidemien waren hilfreich

Wichtig ist was nicht aufgezählt wurde: Bei mRNA-Impfstoffen wurde keine Prüfung ausgelassen.

Sorgen macht sich die AG Welt offenbar primär um die "gentechnologische Veränderung des Menschen" durch mRNA Impfstoffe. Das suggeriert, dass der Impfstoff im Körper eines Menschen die DNA verändert. So funktioniert das mRNA Verfahren aber nicht. Ein mRNA Impfstoff ist eher so als ob man einem Bäckereigehilfen ein Rezept unterschiebt, so dass er ein paar ungewöhnliche Brötchen produziert. Das verändert nicht das Rezeptbuch des Bäckers (die DNA). Wenn aber das echte Virus vorbeikommt, kennt der Körper die "ungewöhnlichen Brötchen" bereits und kann besser damit umgehen.

Dilemma der Abtreibung

AG Welt weist weiterhin auf "das satanische Treiben mit ungeborenen Kindern" im Zusammenhang mit Impfstoffen hin. Mehr Informationen dazu liefert ein weiterer Flyer, wobei der Großteil des Dokuments nicht von Corona-Impfstoffen handelt. Konkret wird HEK 293 bei der Produktion von AstraZeneca verwendet. Die mRNA-Impfstoffe benötigen so etwas nicht für die Produktion, allerdings aber bei der Entwicklung. 1973 wurde ein gesunder Fötus aus unbekannten Gründen abgetrieben und anschließend Zellen aus dessen Niere für die Forschung verwendet. Seit fast 50 Jahren werden diese HEK-Zellen für alles Mögliche genutzt.

Es ist ein moralisches Dilemma wie es noch viele andere in der Medizin gibt. Zum Beispiel haben Nazis in Konzentrationslagern in grausigen Experimenten relevante Erkenntnisse dokumentiert. Beispielsweise wissen wir daher, dass man in Seenot trotz Durst kein Meerwasser trinken sollte. Sollten wir dieses Wissen auslöschen um keine Schuld auf uns zu laden? Ist es besser gute Folgen aus bösen Taten prinzipiell zu verwerfen oder ehren wir die Opfer besser wenn sie nicht umsonst gestorben sind?

Persönlich sehe ich kein Problem darin, da kein Fötus abgetrieben wurde zum Zweck Impfstoff zu produzieren. Mit dem gleichen Argument müsste man dann auch eine Herztransplantation ablehnen, da auch in diesem Fall Menschen sterben mussten um ein Herz als Organ zu "ernten".

Genügend Impfstofferprobung

Der Flyer kritisiert mangelnde Erprobung des Impfstoffs, aber wie bereits geschrieben: Die Impfstoffe haben alle Prüfung bestanden, die andere Impfstoffe auch bestanden haben. Der Flyer gibt Zahlen an: "Es wird vom Tod jedes 50000sten Geimpften berichtet und jeder 5000ste entwickelt unter dem Impfstoff schwere Nebenwirkungen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen".

Das PEI schrieb einige Sicherheitsberichte. Die Zahlen im Neuesten (2021-10-26) davon: 107.888.714 Impfungen. Schwerwiegende Reaktionen waren es 0,2 pro 1000 Impfdosen, also jeder 5000ste. Insgesamt sind 1.802 Todesfälle festgehalten woraus sich "jeder 41528ste" errechnen lässt. Wichtig ist, dass hier offenbar keine Ursache erforscht wurde. Es ist also unklar ob die Leute an einer Impfreaktion oder an einem Verkehrsunfall gestorben sind. Die Tagesschau hat mal etwas genauer hingeschaut, aber nichts Auffälliges gefunden.

Mal zum Vergleich: Mit 83Mio Einwohnern und 950.000 Todesfällen 2018 stirbt in Deutschland prinzipiell jeder 87ste pro Jahr. Wenn man es mit einer Corona-Infektion vergleicht: Das Robert-Koch Institut (RKI) meldet "99.433 Verstorbenen unter 5,4 Millionen gemeldeten Fällen (Datenstand 23.11.2021)" also jeder 54ste. Eine Corona-Infektion wäre also mindestens 100mal tödlicher als eine Impfung selbst wenn alle Todesfällen die Impfung als Ursache hätten.

Im Flyer steht "Das Risiko, schwere Impfschäden zu erleiden, ist 100-200mal höher, als das Risiko an Covid 19 zu sterben." Woher diese Zahlen kommen ist unklar. Ausgehend von "jeder 5000ste hat schwere Impfschäden", wird hier offenbar ein Risiko von "höchstens jeder 500000ste" stirbt an Corona angenommen. Wenn grob "jeder 50ste" Infizierte stirbt (siehe RKI Daten oben), dann impliziert das "höchstens jeder 10000ste" infiziert sich. Statistisch hat sich aber bereits jeder 15te in Deutschland infiziert.

Langfristig wird sich wohl jeder mit dem echten Virus infizieren, die eigentliche Frage ist also: Wie tödlich ist eine Infektion mit Impfung verglichen zu der Zahl oben. Wenn wir über "langfristig" diskutieren, dann sollten wir aber erstmal abwarten wie die Omikron-Variante sich entpuppt. Die Zahl bisher ist grob: Impfung bedeutet 90% weniger Infizierte kommen ins Krankenhaus. Ich konnte keine ordentliche Quelle finden, wie es sich mit Intensivstation und Todesfällen verhält.

Über die Hälfte der Weltbevölkerung ist inzwischen geimpft. Studien über Nebenwirkungen laufen mehrfach parallel. Wir sind inzwischen also sehr sicher auch sehr seltene Nebenwirkungen (sogenannte "Langzeitfolgen") zu kennen und wissen diese entsprechend zu behandeln (bei ungewöhnlichen Kopf- oder Herzschmerzen nach der Impfung ins Krankenhaus!).

Natürlich hat prinzipiell jede Impfung Risiken aber sicherer wird es nicht.

Vitamine ersetzen keine Impfung

Der Flyer schlägt Vitamin C oder D als Alternative zur Impfung vor. Dabei wird zum Beispiel auf diese Studie verwiesen. Allerdings geht es hier darum eine Behandlung zu unterstützen, also nachdem man infiziert ist und in Kombination mit anderen Methoden. Aussage ist also eher: Extra-Vitamine schaden nicht. Hier eine andere Studie die zum Schluß kommt "bringt nichts".

Beides ist kein Vergleich mit einer Impfung. Die These ist also "Impfung nicht nötig, denn Vitamine helfen bei der Behandlung".

Gottvertrauen ersetzt keine Impfung

Zuletzt appelliert der Flyer noch für mehr Gottvertrauen. Da scheint die Christenheit größtenteils anderer Meinung zu sein. Dieser Kommentar im Family Magazin vergleicht es mit dem Jünger Petrus der aus dem Boot springt (Matthäus 14) und dann zu Jesus über das Wasser läuft. Er hinterfragt aber, ob es sinnvoll ist, denn Jesus hat nicht darum gebeten, dass wir uns wissentlich in Gefahr begeben. Stattdessen sind Christen dazu aufgerufen denen zu helfen die sich nicht selbst helfen können.

Quelle

Der Autor des Flyers, Dietmar Wirsam, scheint kürzlich verstorben zu sein. Ob eine Corona-Infektion mangels Impfung die Ursache war ist unbekannt. Im Alter von 78 Jahren ist statistisch gesehen ein Herzinfarkt oder Krebs aber wahrscheinlicher.

Die Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen e.V. (AG WELT e.V.), früher Arbeitsgemeinschaft für Religiöse Fragen (ARF), ist seit 1975 aktiv. Verbindungen zu anderen christlichen Institutionen sind kaum erkennbar. Es gab eine Veranstaltung mit Peter Hahne, welchen man inzwischen wohl ins AfD-Milieu einordnen muss.

Der Flyer kommt für mich also nicht aus einer Quelle, der ich einen Vertrauenvorschuss geben kann (im Gegensatz zu RKI und PEI). Die Argumente oben sind hauchdünn.

Um mit der Titelfrage des Flyers zu schließen: Impfung gegen Corona – Rettung oder Risiko? Ja. Rettung weil das Risiko geringer ist.

Impfen!

Kritisch hingeschaut bei einem Flyer der AG Welt