Es ist für mich schwer vorstellbar, wie man eine Partei aus dem rechten Spektrum wählen kann. Über die AfD mit ihren Faschisten brauchen wir natürlich gar nicht reden und die FDP ist inzwischen irrelevant. Bleibt also die Union als einzige Option rechts der Mitte.
Bei CDU und CSU lassen wir mal die Persönlichkeiten Merz und Söder außer Acht und ignorieren auch die Offenheit mit der AfD zusammenzuarbeiten. Ignorieren wir außerdem, dass die CDU keinen Plan hat, wie sie ihre Pläne finanzieren können. Dann ignorieren wir auch, dass die CDU historisch eher dafür bekannt ist Dinge zu verschleppen. Trotz all dem scheint mir das Wahlprogramm nicht gut für Deutschland. Wie kann ein intelligenter Mensch das glauben?
Das ist mein Versuch im steelmanning, also dem Gegenteil eines Strohmann-Arguments: Ich bemühe mich das stärkste Pro-CDU-Argument zu finden, bevor ich dagegen argumentiere.
Nun haben gerade zwei Menschen, die ich sehr respektiere ein Video veröffentlicht, wo sie zusammen den Wahl-O-Mat durchgehen: Gerd Kommer und Andreas Beck. Wenn es darum geht, wie du als Privatperson dein Vermögen gut anlegst (Aktien, Haus, etc), dann sind die beiden Top. Das sind keine Schwurbler, sondern Menschen die sich sehr bemühen fakten-basiert zu argumentieren.
Während des Videos dachte ich mir schon, dass es auf Union oder FDP rausläuft. Geschockt war ich, als Bündnis Deutschland, WerteUnion, und AfD and der Spitze waren und die beiden das einfach akzeptiert haben. Gerd Kommer am Schluss:
Ich sehe mich wirklich als jemand der in der Mitte der Gesellschaft steht.
Die einzelnen Antworten waren:
- Unterstützung der Ukraine: Neutral
- Erneuerbare Energien: Nein
- Streichung des Bürgergelds: Ja
- Tempolimit auf Autobahnen: Neutral
- Abweisung Asylsuchender: Ja
- Begrenzung der Mietpreise: Nein
- Automatisierte Gesichtserkennung: Ja
- Energieintensive Unternehmen: Ja
- Rente nach 40 Beitragsjahren: Nein
- Grundgesetz: Neutral
- Anwerbung von Fachkräften: Ja
- Nutzung der Kernenergie: Ja
- Anhebung des Spitzensteuersatzes: Nein
- Kompetenzen in der Schulpolitik: Nein
- Rüstungsexporte nach Israel: Ja
- Krankenkassen: Nein
- Abschaffung der Frauenquote: Ja
- Ökologische Landwirtschaft: Nein
- Projekte gegen Rechtsextremismus: Nein
- Kontrolle von Zulieferern: Nein
- Elternabhängiges BAföG: Neutral
- Schuldenbremse: Neutral
- Arbeitserlaubnis für Asylsuchende: Ja
- Verwerfen der Klimaziele: Ja
- 35-Stunden-Woche: Nein
- Schwangerschaftsabbruch nach Beratung: Neutral
- Nationale Währung: Nein
- Schiene vor Straße: Nein
- Ehrenamt: Nein
- Umlegung der Grundsteuer: Ja
- Einschränkung des Streikrechts: Ja
- Volksentscheide: Ja
- Strafrecht für unter 14-Jährige: Ja
- Abschaffung von Zöllen: Neutral
- Zweite Staatsbürgerschaft: Ja
- Soziales Pflichtjahr: Nein
- Fossile Brennstoffe: Ja
- Erhöhung des Mindestlohns: Nein
Als "linksgrünversiffter" bin ich in ganz vielen Fragen entgegengesetzter Meinung. Ich halte die beiden für das Beste aus der Unions-Wählerschaft und deswegen ist es auch wertig sich damit außereinanderzusetzen.
Um aus dem Abstract von Are Disagreements Honest? zu übersetzen:
Ehrliche Wahrheits-Sucher mit den gleichen A-Priori-Wahrscheinlichkeiten sollten nicht bewusst unterschiedlicher Meinung sein.
In diesem Sinne denke ich, dass wir irgendwo einen sehr fundamentalen Unterschied in unserem Weltbild haben.
Markt vs Staat
Die beiden sind deutlich liberal und wiederholt bemerken sie im Video, dass der Staat sich aus einigen Dingen raushalten soll (Frauenquote, Mindestlohn, Mietpreisbremse, Lieferkettengesetz). Sie sind nicht radikal, denn manche staatliche Einmischung befürworten sie (Immigration fördern, Euro, BaföG).
Wo ein Staat sich einmischen soll und wo nicht, erscheint mir eine sehr subjektive Frage. Sprich, da muss man eigentlich jegliche Meinung akzeptieren.
In der Praxis scheint mir jeder sich immer herauszupicken, was gerade am besten passt. Es muss ein Gleichgewicht innerhalb der Gesellschaft gefunden werden, das ist also ein sehr fundamentaler Teil jeder Demokratie. So fundamental, dass fast nie darüber gesprochen wird.
Die beiden sind jedenfalls klar Team "Der Markt regelt" im Sinne von Adam Smith's unsichtbarer Hand. Ich denke auch, dass ein Preis ein sehr gutes Mittel der Regulierung ist und insbesondere das effizienteste, das wir kennen. Allerdings regelt der Markt primär auf effiziente Resourcenverteilung und das ist nicht unbedingt das Optimierungsziel, welches wir als Gesellschaft wollen. Der Markt regelt effizient aber nicht fair.
Die grundlegende Idee ist ja, dass eine Kaufentscheidung auf einem Markt ähnlich demokratisch ist wie eine Wahl. Sowohl Demokratien als auch Märkte sind nicht perfekt. Beispiel: Demokratien sind langsam. Märkte verhalten sich oft überraschend.
In Argentinien (unter Milei) und USA (unter Trump) hat sich eine Mehrheit gefunden, die jetzt das Experiment mehr-Markt-statt-Staat sehr mutig durchführen. Ich glaube, dass es für den Großteil der Menschen dort schlechter statt besser wird, aber noch ist es zu früh für eine Beurteilung. Die Wirtschaft erwartet zumindest keine großen Probleme in den USA, zumindest geht es den Aktienmärkten soweit gut.
Faule Beamte?
Eine sehr tief sitzende Annahme bei Vielen ist wohl, dass praktisch Alles was der Staat macht ineffizient ist. Beamte sind alle faul während der harte Wettbewerb Unternehmen zur Effizienz zwingt.
Jetzt mal ehrlich: Jeder der in einem Konzern arbeitet wird bestätigen, dass es dort ebenfalls bürokratisch und zäh abläuft. Das hat mit der Größe der Organisation zu tun und nicht mit dem Unterschied Behörde oder Wirtschaft.
Ja, in Europa gibt es andere Länder die weniger Bürokratie haben. Andererseits, gilt die USA als ähnlich bürokratisch. China und Japan sind auch nicht besser. Das scheint also nicht der kritische Faktor für Wirtschaftswachstum zu sein.
Beim ifo Institut sind die Aufmacher reißerisch ala "Die bürokratische Last der Unternehmen in Deutschland ist erdrückend". Im eigentlichen Text steht dann aber "Deutschland liegt im internationalen Vergleich knapp unter dem OECD-Durchschnitt, allerdings deutlich über Schweden, dem Land mit dem niedrigsten Bürokratieindex."
Außerdem hat Deutschland einen relativ schlanken Staat, wenn man Beamte zählt: OECD misst "public employment as a share of total employment", also den Anteil der Angestellten beim Staat. Es schwankt zwischen 10% und 30% wobei der Durchschnitt bei 19% ist. Deutschland ist mit 11% am unteren Ende.
Ich denke, das Schimpfen auf Beamte ist nicht gerechtfertigt. Bürokratie ist ein willkommener Sündenbock, aber nicht das Hauptproblem unserer Wirtschaft. Deswegen klingt "schlanker Staat" zwar prinzipiell gut für mich, aber es hat keine hohe Priorität. Die CDU ist allerdings auch nicht dafür bekannt, den Staat schrumpfen zu wollen.
Umverteilung
Ich glaube (kann es aber nicht gut belegen), dass es eine essentielle Aufgabe des Staates ist Vermögen von oben nach unten umzuverteilen. Würde er das nicht tun, monopolisiert sich Vermögen. Historisch immer so lange bis es zu blutigen Revolutionen kam. Deswegen sind selbst viele Milliardäre für Umverteilung.
Der Union ist Umverteilung nicht wichtig, denn sie entlasten lieber die Spitzenverdiener, die "Leistungsträger" nennen sie sie gerne. Gut dargestellt im Gutachten der ZEW:
Ich denke Unions-wähler glauben an Angebotspolitik, dass Wirtschaftswachstum am effektivsten durch Senkung von Steuern und Verringerung staatlicher Regulierungen geschaffen werden kann. Die Gegenthese von links ist, dass der Druck Löhne niedrig zu halten und Exportüberschüsse zu erzielen, global die Nachfrage drückt und damit auch das Wirtschaftswachstum.
Eine klare Antwort habe ich selbst nicht, aber mehr Debatte darüber wäre angebracht. Kommer legt am Ende da ganz viel Gewicht drauf:
Was die Frage anbelangt wie dieser Kuchen, von dem wir schlussendlich alle leben müssen, von dem Kindergärten, Altenheime, Straßen, Wasserwerke, Kläranlagen, und jede andere Art von von Infrastruktur und sozialpolitischen Maßnahmen, bezahlt wird. Am Ende des Tages, wie dieser Kuchen vergrößert werden soll, das sollte unsere zentrale Sorge sein. Das sollte die Sorge unserer Politiker sein und das geht eben nicht so mit immer neuen Eingriffen, immer neuen Regeln, immer neuen Subventionen, immer neuen Gesetzen, wie es tendenziell in den letzten 20 Jahren geschehen ist und verstärkt in den letzten 5 Jahren.
Ich finde Angebotspolitik nicht überzeugender als die Alternative. Ich sehe auch nicht, dass die Wissenschaft sich einig wäre. Allerdings muss ich zugeben, wer sich auch nur leicht auf die Seite Angebotspolitik schlägt, muss wohl CDU wählen.
Naivität
Bei einigen Fragen empfinde ich die beiden als naiv oder uninformiert.
Beispiel 1: Streichung des Bürgergelds. Es ist aktuell bereits möglich bis zu zwei Monate lang das Bürgergeld zu streichen bei "Totalverweigerern". Wer hier "Ja" antwortet möchte also ein Verschärfung dieser Regelung. Allerdings sagt ein Urteil des BVerfG von 2019, dass wir schon am Limit des Grundgesetzes sind bzgl Menschwürde. Ich vermute den Beiden war das nicht bewusst.
Beispiel 2: Kernergie. Kommer und Beck stimmen zu, weil wir ja Kernenergie aus Frankreich nutzen. Es geht doch aber in aktuellen Debatte klar darum, ob wir in Deutschland neue AKWs bauen sollen und das ist lächerlich.
Beispiel 3: Projekte gegen Rechtsextremismus. Kommer meint der Staat soll sich raushalten. Per Definition ist Extremismus verfassungsfeindlich und da darf sich der Staat nicht raushalten. Wenn die zweitstärkste Partei offen Rechtsextremismus fördert, dann ist Rechts klar gefährlicher als Links.
Beispiel 4: Fossile Brennstoffe. Beck sagt "Ja, weil alles andere ist überhaupt nicht praktikabel. [..] wenn da jetzt die Heizung kaputt geht, dann kann man ja nur die Bestehende austauschen." Im Kampf gegen den Klimawandel sind gerade Heizungen ein wichtiger Faktor. Deswegen versucht das GEG auch durch Fördermittel einen Umbau praktikabler zu machen und wo es wirklich nicht praktikabel ist, sind auch Ausnahmen vorgesehen. Auch die CDU will nur Kleinigkeiten ändern, aber bauscht es auf.
tl;dr
Warum bin ich fast entgegengesetzter Meinung als Kommer und Beck? Ich glaube nicht so an Angebotspolitik und schlanken Staat und ich habe mich mit einigen Themen genauer auseinandergesetzt.
Für die meisten Bürger glaube ich, dass eine Stimme für die CDU gegen die eigenen Interessen ist, und sie sich leider nicht genug informiert haben.
Update 2025-02-18
In diesem Video mit Mario Lochner erzählt Andreas Beck tiefer seine und andere Ansichten. Links und rechts hat für ihn offenbar nichts mit Wirtschaftspolitik zu tun. Als primär wirtschaftsliberaler ist er von keiner Partei überzeugt, und sagt, "seid optimistisch, weil in der Regel machen Politiker nachher was ganz Anderes, als sie vor der Wahl gesagt haben, und deswegen kann es ganz gut werden."