Geht morgen die Welt unter? Für die meisten Menschen ist das ein Ja-oder-Nein-Frage. Für manche ist es eine Ja-Nein-Vielleicht-Frage. Die Welt wäre besser, wenn wir sie stattdessen als Zwischen-0-und-100-Prozent Frage behandeln würden.
Mir scheint Menschen lassen sich recht klar nach Denkmuster unterscheiden. So könnte es ablaufen wenn unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen:
Alex: Nehmen wir mal an die Wahrscheinlichkeit, dass du in den nächsten 12 Monaten dein Auto reparieren musst sei 10%.
Bobbie: Moment mal. Das kann nicht die Wahrscheinlichkeit sein.
Alex: Ok. Höher oder niedriger?
Bobbie: Wer weiß. Entweder es passiert oder halt nicht.
Alex: Könntest das als Wahrscheinlichkeit ausdrücken?
Bobbie: Wie denn? Ich würde mir ja nur irgendwas ausdenken.
Alex: Klar, aber es macht doch einen großen Unterschied ob die Wahrscheinlichkeit 1% oder 90% ist.
Bobbie: Wir kennen die Zukunft nicht. Warum sollte ich so tun als ob?
Menschen denken gerne schwarz-weiß. Entweder A oder B. Das Auto geht kaputt oder nicht. Grund dafür ist dass unsere Gehirne versuchen Energie zu sparen und in vielen Fällen ist diese Vereinfachung ausreichend. Jetzt mischt sich Kim ein:
Kim: Naja, wir wissen nicht ob dein Auto wirklich kaputt geht oder nicht aber wir können sagen dass es "vielleicht" kaputt geht.
Alex: Danke! Könntest du das als Zahl ausdrücken?
Kim: Warum? Hm. Eines von beidem muss passieren also fifty-fifty?
Alex: Mir würde 50% sehr hoch vorkommen für einen Autoschaden.
Kim: Es kann aber doch passieren.
Mit einem "vielleicht" macht man sich schon den Aufwand über schwarz-weiß hinaus zu denken und ein grau zu akzeptieren. Der nächste Schritt wäre auch Graustufen zu unterscheiden.
Warum ist das wichtig? Weil die drei Menschen sehr unterschiedliche Entscheidungen treffen: Nehmen wir an Bobbie und Kim werden wenige Monate später in einen Autounfall verwickelt. Bobbie muss sich Geld leihen für die Reparatur, denn einen Grund für so etwas im Voraus zu plan gab es nicht. Kim hat eine Versicherung abgeschlossen. Alex verkauft Autoversicherungen und verdient sich eine goldene Nase an den Leuten die unfallfrei fahren.
Je wichtiger eine Entscheidung umso wichtiger auf welcher Grundlage wir sie treffen. Allerdings sind praktisch alle relevanten Grundlagen unsicher. Die allgemeine Daumenregel ist, dass existenzbedrohende Risiken versichert werden sollten. Andere Risiken sollte man einfach akzeptieren. Erstaunlicherweise redet aber kaum jemand über die Wahrscheinlichkeit von Berufsunfähigkeit.
Für die großen Entscheidungen ist das Denken in Wahrscheinlichkeiten wichtig. Wenn man sich ein Haus kauft kann man sich den Aufwand ja vielleicht machen. Im Alltag wäre das aber zu viel Arbeit. Oder?
Ich will einen Schritt weitergehen: Es ist nützlich das Denken in Wahrscheinlichkeiten als Lebensphilosophie zu verinnerlichen.
Beispiel: Krebs ist eines der häufigsten Todesursachen und deswegen gibt es einiges an Früherkennung. Wenn eine davon anschlägt, bedeutet es erstmal weitere Untersuchungen und das wird sich hinziehen. Bobbie mit dem Ja-Nein-Denken wirft es nun in ein Wechselbad der Gefühle. Kim bleibt nachts wach und die Gedanken kreisen um "vielleicht". Alex kann die Wahrscheinlichkeit einordnen und vergleichen mit anderen Risiken.
Vermutlich wird jedem in dieser Situation eine stoische Gelassenheit gegen Panik helfen. Man kann damit aber auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen und sich zu wenig um Risiken kümmern. Die "weiteren Untersuchungen" sollten auch gemacht werden. Wer ein intuitives Verständnis von Wahrscheinlichkeiten hat, kann die richtige Balance finden.
Wie trainiert man das Denken in Wahrscheinlichkeiten um es zu verinnerlichen? Eine spaßige Methode sind Prognosemärkte, wie zum Beispiel Manifold (referral link). Dort kann man mit Spielgeld wetten, ob zum Beispiel Frau Giffey Bürgermeisterin von Berlin bleibt (5% im Moment):
Oder ob Putin Ende des Jahr noch russischer Präsident ist (87% im Moment):
Das schwierige an Prognosen ist, dass auch eine 99% Sicherheit eben manchmal schief geht. Wenn ein Wetterbericht sagt, dass es morgen mit 70% Sicherheit nicht regnet, aber es regnet dann dann doch, bedeutet es nicht, dass der Wetterbericht "falsch" gewesen wäre. Wenn ich 100 Vorhersagen mit 70% Wahrscheinlichkeit mache, dann sollten 70 positiv und 30 negativ auswerten. Man spricht hier von Kalibrierung und es braucht eine ganze Menge Prognosen bevor man etwas sagen kann. Beim Wetterbericht für Morgen müsste man also erstmal ein paar hundert zusammen sammeln. Um seine persönliche Kalibrierung festzustellen braucht man also locker mal ein Jahr. Wenn man sie verbessern will noch länger. Manifold bietet eine Auswertung an, aber mein Account hat da bisher noch zuwenig Daten:
Da hilft nur weitermachen.
Metaculus ist ähnlich und im Vergleich sind die Prognosen dort besser. Auch dort fehlt es mir noch an Ergebnissen:
Ich nutze beide. Manifold macht mehr Spaß. Metaculus liefert bessere Infos. Ich würde mich freuen, wenn sich noch mehr Menschen für das Denken in Wahrscheinlichkeiten begeistern würden.
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